hans wagenmann
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Gleichgewicht bilden muss, zwischen dem, dass ich diese beiden Frauen anschaue, als auch dem, dass ich von ihrem nackten Stehen, weniger von ihnen selbst angeblickt werde, darin für einen Moment zu einem Sprachlosen werde, zu der Sprachlosigkeit meines eigenen Körpers. Eine durchaus spirituelle Situation, in der ich meiner eigenen Isolation bewusst werden kann, – ein Angebot.
[...]
Ein anderer Schauplatz war der Ort der Ensembleproduktion „HighStreet“, unter der Endregie von Gia v. d. Akker, ebenfalls mit dem geteilten dritten Platz der Jury versehen, das sich dem Thema der Straße, der dort stattfindenden Begegnungen widmete. Als bewegungsmäßiger Ausgangspunkt war das Gehen gewählt worden. Ein weiteres heutiges Thema, das wie die meisten anderen Themen in eine erfreuliche Richtung zeigt, in das, dass die Eurythmie, ihre künstlerische Ästhetik durchaus auch an solchen Orten ihren Beginn hat. Diese Orte, sowohl als gesellschaftlicher Auseinandersetzung begreift, als auch als Orte, an denen spirituelle Themen und Szenarien ihren Ausgangspunkt haben können. Exemplarisch zeigte sich dies, bei den noch nicht genutzten Begegnungen zwischen einer sog. Steinerform und dem Phänomen des Gehens selbst, dem was durch die Begegnung der solistisch geführten Steinerform mit der dahingehenden, vereinzelten Gruppe an Wahrnehmung und Nichtwahrnehmung geschah.
[...]
Es bleibt sehr zu hoffen, dass das diesjährige Labor nur der Anfang einer ganzen Reihe von kommenden Laboratorien ist. Dass sich weiterhin Stiftungen finden, die solche Ansätze unterstützen, dass das Publikum zahlreicher wird Das sichtbar werden kann, dass es nicht notwendig ist, eine einhellige Meinung zu haben, sondern ein Licht, in dessen Schein die Möglichkeit besteht, sich offen um die Eurythmie zu streiten.
Hans Wagenmann
3
Die Flüchtlingsströme sind ein Wahrnehmungsorgan für den gemeinsamen Raum. Könnt ihr mir das Gehen zeigen? Kann ich in eurem Gehen sein? Ohne Heimatlosigkeit kann ich nicht lehren, kann ich nichts lernen. Es gibt im Inneren ein Vertrauen, das mir diese Heimatlosigkeit ermöglicht. Es kommen Menschen, die uns durch ihre Bewegung etwas voraushaben. Es kommen Hunderttausende von Eingeweihten. Bin ich mir bewusst, wo ich Grenzen bilde? Wo gehe ich zu weit und enge dadurch ein? Wie entwickle ich die Fähigkeit, in mir ein Zentrum zu finden, wo die Welt sich mir erzählt? Wenn man sich verändert, tritt Heimatlosigkeit auf. Ob der Boden trägt? Auf Glatteis gehen. Manchmal durchsichtig in die Tiefe. Ein Land, eine Landschaft, eine Szenerie, die sich nicht verändern will, wird verändert.
Andreas Laudert
Für Peter Handke ist in dieser Art Schreiben, welches auch der unmittelbaren Erfahrung eines Gehens ähnelt, immer auch ein Mitgefühl oder ein Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit mit vorhanden. So schreibt er: ›„Verzeiht, dass ich lebe!” (an die Vorfahren)‹. All dies wie bei einem Schritt, bei dem zwischen dem Impuls den Fuß zu heben und nieder zu setzten, auch immer ein fragiler Augenblick der Unsicherheit liegt, bis im Aufsetzen des Fusses das mögliche Gleichgewicht gefunden wird, aus dem die ruhige Teilnahme an der Welt stattfinden kann. Von da her wird vielleicht jeweils ›Das Gewicht der Welt‹ (so der Titel des ersten Journals) nachvollziehbar – in jedem Schritt wieder anders gewichtet.
Mitvollzug und eigenes Wahrnehmen werden mit der Lektüre dieser „Unwillkürlichen Selbstgespräche” verstärkt angeregt, oder wie Handke schreibt ›„Und jedes Ding braucht seinen Raum” (28. August)‹. Und wo wäre dies möglich wenn nicht in der Achtsamkeit auf das Jetzt? Auf diesem Weg wird jeder Schritt, jede bewusst sprachliche Auseinandersetzung ein künstlerischer Akt, in dem der Weltbezug nicht schlicht vorhanden ist, sondern immer wieder neu geschaffen wird, wenn es gelingt.
Hans Wagenmann
Erschienen in „Das Goetheanum", Nr. 50, 12.12.2008
Mitvollzug
Mit den „Unwillkürlichen Selbstgesprächen” setzt Peter Handke seine fünf bisherigen Journale fort, die seit 1977 erschienen sind und die er zumindest in ihrer bisherigen Form für beendet erklärt hatte. In der Literaturzeitschrift ›Manuskripte‹ Nr. 175 und Nr. 178 stehen Ein- oder Zweizeiler im Charakter von Notizen. Die Kürze und das Direkte aus der wahrnehmenden Gegenwart erinnern an das mit dem ›Das Gewicht der Welt‹ begonnene Aufmerksamkeitsprojekt des täglichen „Mitschreibens“.
Das Niedergeschriebene erscheint hier als zu sich selbst Gesprochenes. Es ist festgehaltenes Selbstgespräch, das sich noch stärker als bisher im Prozess des Betrachtens selbst anblickt. So schreibt Peter Handke: ›„Blick in die Straßenbahnschienen, immer noch Heimat” (Belgrad, 12. Oktober)‹. Weniger nun ein Innehalten auf seinen täglichen Wegen als vielmehr der Versuch, ermöglichte Gegenwart in der Form von Sprache, zumindest für einen flüchtigen Moment, erlebbar und bewußt zu halten. Ein Mitschreiben, das in Sätze mündet wie: ›„Geh als Fremder!”‹ oder ›„Bin ich das, der da geht?”‹.
Diese Art der Konfrontation mit dem eigenen Seinwollen erscheint ungeschminkt, augenblicklich, flüchtig. Dass dies nicht ohne Bezug zu etwas nur scheinbar nicht mehr Vorhandenen denkbar bleibt, zu vollziehen ist, bildet die Grundlage einer Form, die zur Teilnahme befähigt. So schreibt er: ›„Schau, das Grün!” (19. November, Todestag meiner Mutter)‹.
Deutlich, dass Schauen hier nicht ein willkürliches Dahinschweifen bedeutet, sondern die Haltung einer Aufmerksamkeit ist, die wie vom Anblick selbst aufgefunden werden will, um über sich selbst hinaus zu geraten - und ausgesprochen zu werden.
Erschienen in: Rundbrief der Sektion für redende und muszierende Künste, Dornach, Ostern 2012
„Licht ist das erste, was mir entgegenkommt“
Reflexionen zum 1. Eurythmielabor
Licht ist das erste, was mir entgegenkommt, wenn ich die gezeigten Produktionen des „1. Eurythmielabors – Jungen Künstlern den Vortritt“, das vom 30. September bis 2. Oktober 2011 an der Alanus Hochschule/Alfter stattfand übereinanderlege, sie sich gegenseitig überschneiden und überblenden lasse.
Sehe Isabelle Rennhack und Lisza Schulte in „Mono für alle“, mit zwei Koffern, die sie sich über ihre Köpfe gestülpt hatten, aufeinander zukommen. Sehe, obwohl Wochen vergangen sind, darin ein Vergebliches, ein: lass uns einen Moment ganz Bewegung sein, ein: lass uns allein sein. Sehe darin ein Anblicken, das nicht gelingen konnte, meinen verstellten Blick, – ein: „Mono für alle“. Sehe wie ihre Hände diese Koffer auf ihre Köpfe aufsetzten. Sehe nicht mehr die einzelne Geste, sehe die Richtung, sehe das fast Parallele ihrer aufwärts fahrenden Hände. Oder genauer: Ich sehe mich darin an, – ein Lichtmoment. Lichtmomente, für die es zu Recht für diese Produktion den Publikumspreis, als auch den zweiten Preis der Jury gab.
Lichtmomente, die auch durch die Anwesenheit einer Jury während dieses Labors auftauchten, das Veröffentlichen ihre Bewertungskriterien, der Bitte an die Zuschauer jede Aufführung zu kommentieren und am Ende des Labors zu bewerten. Diese Bemühungen stehen in einer Tradition, die von Jurrriaan Cooiman an der Eurythmietagung 2001 in Dornach begonnen, sich über das Solofestival 2007 an der Alanus-Hochschule fortsetzte. Dort von Dieter Bitterli und Walter Pfaff in Betrachtungen über jede Aufführung und ihre Bewegungsbedingungen und Atmosphären gestaltet wurde. Damals von Teilen des Publikums, als auch von Teilen der Aufführenden nicht wirklich angenommen wurde, bis dahin, dass es zum zweiten Mal nach der ersten Eurythmiemesse 2002 in Basel wieder eine Jury gab, die urteilte und Preise vergab. In diesem Urteilen, Unterscheiden ist der Versuch der jeweiligen Produktion, ihrer Ästhetik gerecht zu werden. Ein Anspruch, der sich in gewisser Weise auch auf mich als Zuschauer übertragen hat. Ein durchaus sozialer, gesellschaftlicher Moment, denn darin ist auch Gefährdetes, Brüchiges, Bewegung, die beginnen könnte.
„Silentium“, choreographiert von Miranda Markgraf, mit einem der geteilten dritten Preise der Jury versehen, kann dafür ein Beispiel sein. Am Anfang des Stückes stehen zwei nackte Frauen hinter Gazevorhängen und blicken ins Publikum. Für mich war und ist dies ein Augenblick der Solidarität. Eine Erfahrung, dass Stehen, zumindest in dieser Form vollzogen, ein sich Bewegen ist, ein Suchen nach Gleichgewicht. Ein Gleichgewicht, das sich immer wieder neu bilden muss. So wie sich mein
Kritik
Das Goetheanum, Nr. 46, 13. November 2015
Gehen- Sprechen-Fliehen:
„Inmitten der teilhabende Mensch“
Andreas Laudert im Gespräch mit Hans Wagenmann.
1
Die Spur spüren. Ich muss zurück an den Punkt, wo Sprachlichkeit entsteht, wo Bewegung entsteht, wo Teilhabe entsteht. Selber der Flüchtlingsstrom sein. Ich muss mich in die Ungewissheit einer Fluchtbewegung begeben, um der Sache, um die es mir geht, wieder zu begegnen. Ich muss auch heimatlos sein auf der Bühne, um dem Blick eines Anderen Heimat zu geben, damit er neu wahrnehmen kann.
2
Das Nomadische lebt in mir, das Sich-Aussetzen. Es gibt Höhenzüge im Odenwald, da hatte ich das Gefühl, es gehen – historisch – Flüchtlingsströme durch mich durch. Sie fragten mich etwas. Sie fragen nach dem, was ich tue, nach dem Sinn meiner Arbeit. Ich fühlte Schutzlosigkeit beim Schreiben. Ob Worte ankommen und nicht stranden. Ich habe Scheu und Respekt vor dem, was mir entgegenkommt – aus dem nicht mehr Leibgestützten, aus nicht mehr der Tradition, sondern aus dem, was Leib sucht. Gehen ist für mich der Anfang – der Anfang der Eurythmie, der Anfang des Tanzes. Der Anfang der Wahrnehmung?
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