Felix Jung
Wucherung
NEOPHYTISCHE AKTION Welche Pflanzen sind neophytisch oder klimarelevant? Wie können am neuen Schulstandort autonome Gärten, bestehend aus diesen Pflanzen, entstehen? Aktion im öffentlichen Raum mit Schüler*innen aus den Jahrgängen 5 und 12 der Stadtteilschule Altona
Die neophytische Aktion entstand im Kontext der Projektreihe „KNALL & FORSCH - Labor für MINT und KUNST“ in Kooperation mit der Körber-Stiftung & Kulturagentinnen
Wir verhandeln in unserer künstlerischen Arbeit Prozesse der sog. ‚dritten Natur’ (Anna Lowenhaupt Tsing: Der Pilz am Ende der Welt. Matthes und Seitz Verlag) und gehen dabei phänomenologisch vor. Uns interessiert die Unterscheidung von Natur und Mensch sowie die Symbiose zwischen beiden erstmal nicht. Wir versuchen die konkreten Grenzen zu betrachten, die visuell und haptisch in unserer Lebenswelt vorhanden sind und oft die
Schnittmengen von Menschen, Natur und kapitalistischen Prozessen bilden. Die zwischen diesen Playern stattfindenden Kausalitätsprozesse generieren Zustände, Lebensräume und Grenzen, so wie sie sie gleichermaßen immer wieder aufheben. Dazu gehört es, die Phänomene und Strategien zu untersuchen, die die Natur in der Welt aus sich selbst heraus hervorbringt und die niemals unabhängig von den menschlichen und wirtschaftlichen und politischen Taten gedacht werden können. Hier muss das Bewusstsein, das Verständnis von Natur immer wieder neu verhandelt werden und sich an konkreten phänomenologischen Narrationen entwickeln.
Nähe schaffen und an die Grenzen herantreten
Wie verhält sich die Natur in unserer kapitalistischen Welt? Wir wollen weg von reinen Angsterzählungen, weg von den Dystopieentwürfen und apokalyptischen Szenarien, die um den Klimawandel entworfen wurden, hin zu konkreten Betrachtungen dieser Erzählungen, hin zu tatsächlichen Verhandlungen mit der Natur und so zu Verständnis gelangen. Das Betrachten des aufeinander Reagierens schließt ein anderes Verständnis
von Natur ein und fordert die natürlichen Prozesse als intelligent zu betrachten, als lernende netzwerkbasierte Organismen, die sich verhalten.
Researches and reflections on the struggle of resident growths and other structures.
There are natural spaces in the city. Green spaces that are not curated and are cultivated only minimally or not at all. Edge strips between industrial areas, dead corners of a public or private-public space, which are uninteresting, not usable, not exploitable. In these natural spaces one can find a plant habitat that is different from the landscaped and cultivated public green spaces in the residential areas of the city. Due to the lack of cultivating gardeners, these areas appear more natural and wild, with more growth and volume. There is no unused space between the individual plants, and there is little space for humans either.
Their appearance varies depending on their size and location and how often people move in them. The more inaccessible the areas are and the fewer trees there are, the more these areas are dominated by so-called invasive plants. If they are small marginal strips, areas that are regularly walked on or areas where trees grow, a greater biodiversity is found there.
Das tolle ist, dass unsere Pflanzen nicht konform sind .. sie haben Dornen, Stacheln und Widerhaken. Sie brennen, sie kratzen, sie wehren sich, sie gehören eingesperrt weil sie sich klonen können. Sie sind geächtet, sie sind illegal sie werden mit Flammenwerfern bekämpft, sie haben politische Kriege ausgelöst und sie sind die Vorboten der Klimaflüchtlinge. Sie bilden Orte, die den Menschen ausschließen und doch können sie auch ein Hoffnungsträger der Zukunft sein….
Wucherungen sind Zeigerpflanzen, nicht nur in ihrer empirischen Klassifikation, sondern auch im Bezug auf die Abwesenheit des Menschen. Durch ihre Anwesenheit wird gezeigt welche Flächen für den Mensch interesselos geworden sind. Wucherungen können genutzt werden um Flächen verschwinden zu lassen und Platz für ‘die Zukunft’ zu sichern. Mit den Superkräften der Pflanzen können in kurzer Zeit menschenresliente Räume, Biotope, Lebensräume für Vögel, Insekten und andere Tiere geschaffen, ein besseres Mikroklima erzeugt und in ihrem weitläufigen Wurzelsystemen ein hohes Maß an Co2 gespeichert werden und die Böden werden von Schadstoffen gereinigt.
Diese Gefüge sind Gärten des Widerstandes, und bilden die zukünftigen Gärten der Stadt, die im fortschreitenden Klimawandel überleben werden.
Forschungen und Betrachtungen zum Kampf ansässiger Wucherungen und anderer Gefüge *2022 Margaux Weiss & Felix Jung
Eindrücke von der Expedition in den Hafen nach Altenwerder. Altenwerder ist ein ehemaliges Dorf, das als Hafenerweiterungsgebiet im Zuge des Baus der Hafencity geräumt wurde. Die ehemals durch Menschen angelegten Gärten renaturisieren sich selbst. Es gibt mittlerweile mehrere Schichten von Wucherungen, die übereinander und ineinander greifen. Häufig sind auch hier Brombeere und Brennnessel anzutreffen, aber auch explodierte ehemalige Gartenpflanzen wie der Gundermann. Neben den zumeist alten Obstbäumen entstehen neue junge Bäume. Nur noch wenige Flächen sind ohne Machete zugänglich.
Zufällig sind wir als Quereinsteiger in die Botanik gerutscht, weil wir ein Stipendium der Stiftung Kunstfonds bekommen haben für ein Projekt, in welchem wir drei ansässige Wucherpflanzen in einer Arena um Raum haben kämpfen lassen. Bis dahin waren Neophyt und invasiv keine botanischen Begrifflichkeiten für uns und unsere Vorstellung von Natur war zwar liebenswert, aber sehr diffus. Mit weiterer Recherche und weiterer Lektüre haben wir angefangen, die Tiefe dieser Thematik zu begreifen und befinden uns derzeit nach einem halben Jahr experimentellen Forschen und phänomenologischen Entdecken in einem Sammelsurium an Beobachtungen und Ideen. Unsere Ausgangslage war Natur in der Stadt zu suchen und mittlerweile planen wir eine Reise zu der ältesten MitbewohnerIn unseres Planeten, um mit ihm/ihr in Kontakt zu treten und unser Verständnis von Natur ist ein ganz anderes geworden. Wir behaupten: Ein Garten drückt immer eine Beziehung zur Welt aus, verhandelt Inhalte und ist deswegen immer politisch. Ein Garten schützt und behütet etwas, er beinhaltet einen Traum, eine Idee, eine Utopie und gleichzeitig hinterfragt er den Menschen, weil sein Mittelpunkt unklar ist. Geht es eigentlich um die Pflanzen, um den Menschen, um die Zeit, um die Schönheit, um den Raum? Kann man mit Gärten über Zustände sprechen? Gilles Clement hat zum Beispiel in einer Waldbrand Region einen Garten entworfen, der aus Pflanzen besteht, die Feuer brauchen, um sich fortzupflanzen und er hat einem massiven Wohnblock einen massiven Betonblock entgegengesetzt auf dessen Oberfläche sich ein Wald frei entfalten kann. Diese Gärten sind Beispiele einer kontroversen Diskussion, die man führen kann. Wie könnte zum Beispiel ein Garten aussehen, der Grenzen thematisiert, die Intelligenz der Natur untersucht, sich mit Migrationsbewegungen auseinandersetzt oder den Klimawandel verhandelt?
Politischer Garten #1 Kampf ansässiger Wucherungen - PARKS 2022
Wie schon oben erwähnt haben wir in diesem Projekt drei Wucherpflanzen - die Armenische Brombeere, den Japanischen Knöterich und die Große Brennnessel - gegeneinander um Raum kämpfen lassen. Die Idee war ganz naiv etwas Natur in der Stadt abzubilden, da wir beobachtet haben, das in industriellen Gebieten, auf unkultivierten Flächen, diese Pflanzen zumeist in einem Gefüge menschen- und pflanzenresiliente Räume bilden. Lucius Burckhardt schreibt in ‘Warum ist Landschaft schön?' dass Natur unsichtbar ist und nur durch eine Fälschung sichtbar gemacht werden kann.” Genau das haben wir versucht abzubilden. Diese Pflanzen mögen die meisten Gärtner nicht und es gibt überwiegend Negatives über sie im Netz zu finden: sie verhindern Biodiversität, verursachen Millionenschäden, tun weh, senken Immobilienpreise. Uns hat aber vor allem ihr schnelles Wachstum imponiert, die Tatsache, dass sie im Lebensraum Stadt anscheinend die besten Lebensbedingungen gefunden haben, sie nachhaltig sind, da sie keinen Dünger oder extra Wasser benötigen und somit auch klimaresilienter als andere Pflanzen sind und sie sich ganze Räume aneignen - wir haben sie naturstrielle Räume genannt - und dort Lebensraum für Tiere schaffen, weil sie den Menschen ausschließen. Genau deswegen schlagen sie auch eine Lösung vor und unsere Aufgabe könnte es sein, sie statt sie zu bewerten,schlau zu begärtnern.
Fotografien von der Expedition zu einer aufgeschütteten Sand/Schuttfläche in Hammerbrook. Die Fläche hat keinen Schutz vor Sonne und liegt neben einer sechspurigen Straße. Hier beginnt sich ein Wald zu bilden, ein potentielles neues Ökosystem für die Stadt. Die Fläche umfasst circa 1000qm. Was wächst hier spontan unter ärgsten Bedingungen? Wir haben die Pflanzen bestimmt und Pflanzen gefunden von denen es heißt, dass sie klimaresilient sind wie z.B. Robinien, Roteichen.
Die Wucherungsgefüge in der Stadt sind Wald, Flechte, Ufer, Berg oder Wolke. Sie bilden ein Gemenge, ein Versteck, eine Burg, einen Speicher, Science Fiction in einer Form die zu gleichen Teilen utopisch und dystopisch ist. Sie verweisen auf die Grenzen unserer Kultivierung von Rosen und bilden gleichermaßen eine Lösung unseres Bedürfnisses von Stadt.
In der Stadt gibt es naturstrielle Räume. Grünflächen, die nicht kuratiert und nur minimal bis gar nicht kultiviert werden. Randstreifen zwischen Industrieflächen, tote Winkel eines öffentlichen oder privat-öffentlichen Raumes, die uninteressant, nicht nutzbar, nicht verwertbar sind. In diesen naturstriellen Räumen findet man ein Pflanzenhabitat, welches sich von den angelegten und kultivierten öffentlichen Grünflächen in den Wohnvierteln der Stadt unterscheidet. Durch den fehlenden kultivierenden Gärtner erscheinen diese Flächen natürlicher und wilder, wachstumsreicher und voluminöser. Zwischen den einzelnen Pflanzen gibt es keinen ungenutzten Raum und auch der Mensch findet dort kaum Platz.
Ihr Erscheinungsbild variiert je nach Größe und Standort und wie häufig sich der Mensch in ihnen bewegt. Je unerreichbarer die Flächen sind und je weniger Bäume es dort gibt, umso mehr werden diese Flächen von sogenannten invasiven Pflanzen dominiert. Handelt es sich um kleine Randstreifen, Flächen die regelmäßig begangen werden oder um Flächen wo Bäume wachsen findet man dort eine größere Biodiversität.
In Hamburg-Hammerbrook haben wir in diesen naturstriellen Räumen am häufigsten die Brennnessel, die Brombeere und den Japanischen Knöterich vorgefunden. Sehr häufig sogar in einem gemeinsamen Gefüge.
Diese drei Pflanzen sind Anzeiger für Interesselose Orte in der Stadt und dies ermöglicht es ihnen frei zu wuchern. Sie erscheinen wie ein bisschen Natur: ein spontanes Gemengelage, an welchem der Mensch kaum einen sichtbaren Einfluß hat. Und sie scheinen ihre besten Lebensbedingungen in der Stadt und zwischen Gewerbe und Industrie gefunden zu haben. Anne Lowenhaupt Tsing schreibt in „Der Pilz am Ende der Welt“ von einer sogennanten ‚dritten Natur‘, „die all das bezeichnet, was trotz der Verheerungen des Kapitalismus am Leben zu bleiben vermag“ und Lucius Burkhardt schreibt, dass Natur unsichtbar geworden ist und nur noch durch eine Fälschung sichtbar und begreifbar gemacht werden kann. Beide betonen wie notwendig eine Änderung der Wahrnehmung ist um zu begreifen was uns an Natur umgibt und wie wir uns in und mit ihr bewegen und wie sich ein nachhaltigeres Verhalten ihr gegenüber entwickeln könnte.
(SCROLL TILL END FOR SHORT ENGLISH TRANSLATION)
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