Sonja Maria Borstner
MANUEL TAYARANI - PULL WITH BOTH HANDS
Den klassischen Nessel verabschiedet Manuel Tayarani in seiner Installation „Pull with both Hands“, die den Fetisch der Oberfläche im 21. Jahrhundert in den Fokus nimmt. Ursprünglich aus der flächigen, abstrakten Malerei stammend, integriert Tayarani Gegenständliches in seine Bilder. Gegenstand sind comicartige Figuren und Formen auf glasierten, brüchigen Tonplatten, die, beklebt mit Fake-Werbesolangs, auf Metallwinkeln an der Ausstellungswand montiert sind. Neben den Objekten an der Vertikalen, die durch ihre geschweißten Halterungen wie wertvolle Relikte präsentiert werden, ruhen weitere „Fundstücke“ auf einem gläsernen Schreibtisch, der den Muff eines Neunzigerjahre-Büros vergegenwärtigt. Wie auf dem Seziertisch präsentiert sich die, mit seriellem Muster durchlöcherte Platte, deren Herkunft ebenso löchrig bleibt. „Pull with both Hands“ wirkt störrisch – irgendwie nicht kategorisierbar. Was haben wir hier vor uns? Hinter der ersten von fünf rechteckigen Platten befindet sich eine Infografik, die uns den vermeintlichen Gebrauch jenes Objekts näher bringt. Die in den Ton gekratzten Zeichnungen erinnern an japanische Mangas, die eine fiktive Geschichte erzählen, die durch verschiedenen Chiffren und Zeichencodes dekonstruiert wird.
In einer humorvollen Herangehensweise bedient sich der Künstler verschiedener Assoziationen, die er aus ihrem Kontext nimmt und von ihrem Inhalt befreit. Was bleibt sind Hüllen und Oberflächen, die uns mit ihrer puren Äußerlichkeit ins Rätseln bringen. Tayarani meint dazu:„Ich habe über unsere Zeit nachgedacht, und was von ihr übrig bleiben wird in tausenden von Jahren. Es ist bloß die Verpackung, die Hülle dessen, was da war.“
Sind Verpackungen also die Relikte unserer Zeit? Tayaranis Installation könnte demnach den Versuch einer ironischen Bestandsaufnahme unseres Umgangs mit Ressourcen darstellen. In seinen von ihrem ursprünglichen Sinn befreiten „Werbeplatten“ preist er Inhaltsloses an und konterkariert so das Erscheinungsbild unsere kommerzialisierten Umwelt. Der Verpackungsfetisch einer Generation in der die Hülle als Protagonistin unseres alltäglichen Lebens mehr ins Gewicht fällt, als ihr tatsächlicher Gehalt, fasziniert den Künstler. Tayarani „entpackt“ die Gegenstände seiner Untersuchung und verleiht so dem „Un-Boxing“-Trend unserer Generation eine neue Bedeutung.
Werktext
Manuel Tayarani
Pull with both Hands
Defying Currents
Shelf
ANDREA FARRENKOPF - MODI MARKS AND REPETITIONS
Auf den beiden identischen Stockwerken des achteckigen Ausstellungsraumes der Oktogon Universitätsgalerie in Wuppertal gibt Andrea Farrenkopf (*1991, München) in ihrer Einzelausstellung Modi Marks and Repetitions einen essentiellen Einblick in den Modus ihrer künstlerischen Tätigkeit. Seit Jahren archiviert die Künstlerin ihre zeichnerischen Produktionen, die vielfach als schematische Versuchsreihen angelegt sind, nummeriert und datiert diese präzise. Durch die Nutzung spezieller Techniken, wie der Beschleunigung und Verlangsamung des Tempos während des Zeichnens, versucht sie die Kontrolle über bestimmte ästhetische Mechanismen zu verlieren. Dadurch entsteht Raum für das Zufällige und Unberechenbare einer Geste, die kein Resultat hervorrufen will. Dieses experimentelle Wiederholen der eigenen Linien findet bei Farrenkopf auf Leinwand, Zeichenpapier, Wandflächen oder digitalen Screens statt und konstituiert das Wesen ihrer Praxis.
In der Videoarbeit Modies im Untergeschoss, dem Kernstück der Ausstellung, kann das Sichten eines ihrer zahlreichen Archive beobachtet werden. Eine Hand wischt in unregelmäßigen Bewegungen durch 528 digitale Zeichnungen der Künstlerin, bleibt an manchen Stellen hängen, zoomt und vergrößert Details. Modies ist eine Art Formgedächtnis für Farrenkopf und bildet die Basis aller in der Ausstellung versammelten Arbeiten.
Solid ruts, eine Wandarbeit, die sich über beide Stockwerke verteilt, umfasst fünf ausgewählte Zeichnungen aus Modies, die vom Digital- in den Realraum übersetzt werden. In einem körperlichen Akt überträgt die Künstlerin ihre zeichnerischen Strichsetzungen direkt auf die Wände der Ausstellung und entgegnet dem starren Baumaterial mit der Dynamik ihrer Zeichnung.
In trace lini 7-11 ff. okkupieren vier großformatige Zeichnungen, die sich gleichermaßen auf Modies beziehen, in skulpturalen Konstruktionen nicht nur die Wände der Ausstellungsräume. Wie stark überbogene Segel spannen sich die zeichnerischen Objekte vor die Fensterfronten und über die Bodenfläche und lösen sich von den einstigen formalen Begrenzungen ihrer Gattung.
Modi Marks and Repetitions sprengt die Kategorien des Archiv der Künstlerin und befreit ihren zeichnerischen Index von seinem zweidimensionalen Dasein. Ihre Arbeiten bedienen sich ungewöhnlicher Displays und Präsentationsformen und stellen die zeitgenössische Zeichnung in einen neuen räumlichen Diskurs.
Die Ausstellung entstand im Rahmen der Reihe eight corners comfort mit Anna Hofmann und Miriam Steinmacher.
Kurator: Roman Zheleznyak
Werktext
Andrea Farrenkopf
Modi Marks and Repetitions
Oktogon Universitätsgalerie Wuppertal
1. SEE IF I CAN SEE WHAT OTHERS SEE IN MY WORK
Im Gespräch mit einer Freundin und Künstlerin verriet sie mir eine Ungewissheit, die in ihr seit einiger Zeit unaufhörlich keimte. Diese formulierte sich vor allen Dingen in einer Frage, die sie sich selbst zu stellen begonnen hatte:
„Ist meine Kunst sichtbar (für andere)?“
Der Zweifel um das eigene Sichtbarsein wurde zu ihrem chronischen Begleiter und formte ihren Blick auf sich selbst und andere. Ihrer Ungewissheit möglicherweise unsichtbar zu sein, möchte ich mit den folgenden Gedanken begegnen.
Sichtweisen, meine eigenen und die der anderen, sind wesentlich durch innere und äußere Mechanismen der sozialen Zugehörigkeit und persönlichen Biografie geprägt. Der Habitus meiner Person wird in hohem Maße durch gesellschaftliche Kategorien wie Klasse, Geschlecht und Ethnizität bestimmt, welche wiederum soziale Erfahrungen formen und die Konstruktion meiner Realität auf fundamentale Weise beeinflussen. Gelebte und ungelebte Vorerfahrungen und -Urteile bedingen zusätzlich den Blick meines Sehens und Gesehenen. Worauf ich mein Augenmerk lege, ist deshalb unabdingbar in meinen kulturellen, geografischen und politischen Kontext verwoben.
Was bleibt letztlich als objektives Kennzeichen von Sichtbarkeit übrig? Und gibt es überhaupt einen gemeinsamen Konsens, der eine Antwort auf die Frage meiner Freundin geben und ihren Zweifel erwidern könnte?
Das Zeigen von Kunst hat sich über die letzten Jahrzehnte stark gewandelt und das Ineinanderfließen von kommerziellen und institutionellen Ausstellungsflächen sowie kuratorischen als auch künstlerischen Techniken brachte eine neue Hybridform des Zeigens hervor. Digitale Präsentationsmöglichkeiten entgegnen mit ihrer rasanten Kurzlebigkeit traditionellen Ausstellungsformaten und formen das Sehen und Gesehenwerden unserer Gegenwart. Diese ist in ihrer Präsenz absolut geworden – alles schwimmt in einer horizontalen Oberfläche ineinander, auf der vormals feststehende örtliche und räumliche Konstanten ihre Festigkeit verlieren.
Die wohl fundamentalste Aufgabe von Ausstellungen, das Sichtbarmachen von Kunst durch eine spezifische inhaltliche als auch räumliche Rahmung scheint dennoch fortzubestehen. Durch die Auswahl gewisser KünstlerInnen oder einer speziellen Thematik wird ein Fokus gesetzt, der innerhalb der Ausstellung seine Verhandlung findet. Doch wieso entscheidet man sich für die eine oder andere Perspektive? Und haben Positionen, die leichter ersichtlich sind Vorteile gegenüber unaufdringlicheren?
Ohne Zweifel ist jede Form des Selektierens gleichermaßen durch den Habitus der Sehenden bestimmt und folglich von subjektiven Faktoren durchzogen. Objektivität ist zwar zum Teil ein erklärtes Anliegen, möglich und erwünscht jedoch, erscheint es kaum. Nicht zuletzt sind auch die Sichtweise der KünstlerInnen in hohem Maße in gesellschaftliche und (ausstellungs-)politische Mechanismen verwoben, die wiederum ihre internen Selektierungs- und Entscheidungsprozesse beeinflussen. Was bedeutet das also für die Kriterien der eigenen künstlerischen Arbeit und wodurch werden diese tatsächlich bestimmt?
Das Sehen und Gesehenwerden der Kunst ist zutiefst in das gegenwärtige Geschehen verwoben und wandelt sich in und durch dieses permanent. Im digitalen Zeitalter wurde unser Sehen durch die plurale Simultanität von Ereignissen mit rasanter Geschwindigkeit verändert. Unser alltäglicher Blick findet größtenteils in und durch technologisierte Medien statt, über und mit welchen wir sehen und agieren erlernt haben. Durch diese enorme Überhäufung von Sichtbarem verlieren wir den körperlichen Bezug zum Gesehenen, was folglich nicht nur Auswirkungen auf unsere emotionalen Bezugssysteme hat, sondern uns möglicherweise im Gesamten in einer handlungsunfähigen Bezugslosigkeit ertränken könnte.
Die Auseinandersetzung und das Nachdenken mit und über unsere eigene Sichtbarkeit ist von daher ein besonderer Zündstoff, der dem beliebigen und ziellosen Blick der heutigen digitalisierten (Kunst)-Welt entgegnet. Eine Ausstellung trägt darüber hinaus das Potential eine Blickachse inmitten eines sich ständig wandelnden Sichtfeldes zu setzen, die dem unaufhörlichen Strom der Beiläufigkeiten trotzen kann. Nicht ob Kunst sichtbar ist, sollten wir also unaufhörlich fragen, sondern was mit und durch Kunst sichtbar werden kann.
Katalogtext
“ABOVE AND AGAINST: RANDOM”
Basis Projektraum Frankfurt am Main
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SONJA MARIA BORSTNER
INFO
2018
1. See if I can see what others see in my work
2. Modi Marks and Repetitions
3. Pull with both Hands
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zofijagozdarka@gmail.com
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