Sonja Maria Borstner
See if I can see what others see in my work
SEE IF I CAN SEE WHAT OTHERS SEE IN MY WORK
Im Gespräch mit einer Freundin und Künstlerin verriet sie mir eine Ungewissheit, die in ihr seit einiger Zeit unaufhörlich keimte. Diese formulierte sich vor allen Dingen in einer Frage, die sie sich selbst zu stellen begonnen hatte:
„Ist meine Kunst sichtbar (für andere)?“
Der Zweifel um das eigene Sichtbarsein wurde zu ihrem chronischen Begleiter und formte ihren Blick auf sich selbst und andere. Ihrer Ungewissheit möglicherweise unsichtbar zu sein, möchte ich mit den folgenden Gedanken begegnen.
Sichtweisen, meine eigenen und die der anderen, sind wesentlich durch innere und äußere Mechanismen der sozialen Zugehörigkeit und persönlichen Biografie geprägt. Der Habitus meiner Person wird in hohem Maße durch gesellschaftliche Kategorien wie Klasse, Geschlecht und Ethnizität bestimmt, welche wiederum soziale Erfahrungen formen und die Konstruktion meiner Realität auf fundamentale Weise beeinflussen. Gelebte und ungelebte Vorerfahrungen und -Urteile bedingen zusätzlich den Blick meines Sehens und Gesehenen. Worauf ich mein Augenmerk lege, ist deshalb unabdingbar in meinen kulturellen, geografischen und politischen Kontext verwoben.
Was bleibt letztlich als objektives Kennzeichen von Sichtbarkeit übrig? Und gibt es überhaupt einen gemeinsamen Konsens, der eine Antwort auf die Frage meiner Freundin geben und ihren Zweifel erwidern könnte?
Das Zeigen von Kunst hat sich über die letzten Jahrzehnte stark gewandelt und das Ineinanderfließen von kommerziellen und institutionellen Ausstellungsflächen sowie kuratorischen als auch künstlerischen Techniken brachte eine neue Hybridform des Zeigens hervor. Digitale Präsentationsmöglichkeiten entgegnen mit ihrer rasanten Kurzlebigkeit traditionellen Ausstellungsformaten und formen das Sehen und Gesehenwerden unserer Gegenwart. Diese ist in ihrer Präsenz absolut geworden – alles schwimmt in einer horizontalen Oberfläche ineinander, auf der vormals feststehende örtliche und räumliche Konstanten ihre Festigkeit verlieren.
Die wohl fundamentalste Aufgabe von Ausstellungen, das Sichtbarmachen von Kunst durch eine spezifische inhaltliche als auch räumliche Rahmung scheint dennoch fortzubestehen. Durch die Auswahl gewisser KünstlerInnen oder einer speziellen Thematik wird ein Fokus gesetzt, der innerhalb der Ausstellung seine Verhandlung findet. Doch wieso entscheidet man sich für die eine oder andere Perspektive? Und haben Positionen, die leichter ersichtlich sind Vorteile gegenüber unaufdringlicheren?
Ohne Zweifel ist jede Form des Selektierens gleichermaßen durch den Habitus der Sehenden bestimmt und folglich von subjektiven Faktoren durchzogen. Objektivität ist zwar zum Teil ein erklärtes Anliegen, möglich und erwünscht jedoch, erscheint es kaum. Nicht zuletzt sind auch die Sichtweise der KünstlerInnen in hohem Maße in gesellschaftliche und (ausstellungs-)politische Mechanismen verwoben, die wiederum ihre internen Selektierungs- und Entscheidungsprozesse beeinflussen. Was bedeutet das also für die Kriterien der eigenen künstlerischen Arbeit und wodurch werden diese tatsächlich bestimmt?
Das Sehen und Gesehenwerden der Kunst ist zutiefst in das gegenwärtige Geschehen verwoben und wandelt sich in und durch dieses permanent. Im digitalen Zeitalter wurde unser Sehen durch die plurale Simultanität von Ereignissen mit rasanter Geschwindigkeit verändert. Unser alltäglicher Blick findet größtenteils in und durch technologisierte Medien statt, über und mit welchen wir sehen und agieren erlernt haben. Durch diese enorme Überhäufung von Sichtbarem verlieren wir den körperlichen Bezug zum Gesehenen, was folglich nicht nur Auswirkungen auf unsere emotionalen Bezugssysteme hat, sondern uns möglicherweise im Gesamten in einer handlungsunfähigen Bezugslosigkeit ertränken könnte.
Die Auseinandersetzung und das Nachdenken mit und über unsere eigene Sichtbarkeit ist von daher ein besonderer Zündstoff, der dem beliebigen und ziellosen Blick der heutigen digitalisierten (Kunst)-Welt entgegnet. Eine Ausstellung trägt darüber hinaus das Potential eine Blickachse inmitten eines sich ständig wandelnden Sichtfeldes zu setzen, die dem unaufhörlichen Strom der Beiläufigkeiten trotzen kann. Nicht ob Kunst sichtbar ist, sollten wir also unaufhörlich fragen, sondern was mit und durch Kunst sichtbar werden kann.
Katalogtext
“ABOVE AND AGAINST: RANDOM”
Basis Projektraum Frankfurt am Main
JavaScript is turned off.
Please enable JavaScript to view this site properly.