Tina Zimmermann
Litfaßsäule
Die Säulen der Gesellschaft
Die Berliner Litfaßsäule stirbt.
Eine urbane Intervention in Berlin
März 2018
Ein Berliner Original, seit 165 Jahren selbstverständlicher Teil des Stadtbildes, verschwindet momentan aus dem öffentlichen Raum.
Knapp 2500 der in ganz Berlin stehenden, runden „Annonciersäulen“ werden bis Juni 2019 aus ihren Fundamenten im Gehweg gerissen, mit großen Hebekränen über die Autos gewuchtet und abtransportiert.
SIe sollen zwar durch neue Versionen ersetzt werden, doch nicht an allen bisherigen Standorten und die verschiedenen Designs aus 7 Jahrzehnten, zum Teil mit schönen Gußeisernen Dächern oder 80er-Jahre "Szene-info"Bordüre, werden durch ein einziges Modell mit schlichtem Plastikdeckel ersetzt-
Momentan stehen die alten Säulen zu hunderten vollflächig einfarbig ummantelt in leuchtendem Rot, Blau, Türkis oder einfach in grau wie bunte Monolithen aus einer untergehenden Zeit und warten auf ihr Ende. Sie leuchten wie die bunten Bäume im Herbst mit einem ein letzten farbigen Aufflammen, bevor sie für immer verschwinden. Sie verlangen geradezu nach Aneignung durch künstlerische Intervention, kultureller Zwischennutzung vor dem Abriss - eine in Berlin viel erprobte Herangehensweise.
Also sprechen die Säulen nun ein letztes Mal - doch nicht, wie ihr Leben lang vom Lebendigen, Lauten, Neuesten, Begehrlichen, nicht vom letzten Schrei - sondern vom letzten leisen Geleit.
Historische Grabsprüche, gesammelt auf Grabmälern Berliner Christlicher und Jüdischer Friedhöfe, leuchten in grossen bunten altdeutschen Lettern auf schwarzem Hintergund von den zum Tode verurteilten Litfasssäulen - Sie werden so zu ihrem eigenen Grabmal mit ihrr eigenen poetischen Todesanzeige - Worte der Vergänglichkeit und ewigen Ruhe inmitten der hektischen lauten Stadt.
Mitten in unserem täglichen, ganz in der materiellen Weltlichkeit verhafteten Leben wird so unerwartet an unsere eigene Sterblichkeit und die Existenz einer immateriellen, ewigen Welt des Jenseits erinnert, in die wir alle zurückgehen und in der wir alle gleich sind, egal wie lang, aufregend oder erfolgreich unser diesseitiges Leben verlaufen mag.
Der Tod an sich und das danach schürt in uns sowohl Angst als auch Trost und wird das ewige Mysterium bleiben - und wird normalerweise nicht in der Öffentlichkeit thematisiert, ja eher in unserer Gesellschaft tabuisiert.
Grabmal und Litfaßsäule stehen beide obeliskartig im öffentlichen Raum, die einen auf öffentlichen stillen Friedhöfen, die anderen im lauten bewegten Strassenbild.
So unterschiedlich ihre Lebensräume, so ähnlich ist ihre Funktion - die öffentliche Bekanntmachung.
Das eine erzählt von Menschen und deren Taten, die nicht mehr in der Welt sind, die andere von Ereignissen und Produkten, die von Menschen in der Welt momentan geschaffen werden. Das Grabmal ist Wächter der Vergangenheit, die Litfasssäule ist ganz der Gegenwart und Zukunft verschrieben.
Bevor die Litfaßsäulen nun nach hunderten von Wortschichten, die sie über viele Jahrzehnte ummantelt haben wie Jahresringe einen Baum, kollektiv abgebaut und verschrottet wird, vermischen sich in ihren lezten Worten an die Welt die Sphären von Leben und Tod, wie sich auch kurz vor dem Ableben eines alten Menschen oft die diesseitige und jenseitige Welt für einige Zeit vermischt. Und so zieren ganz ungewöhnliche doch wahre und universelle Worte des Abschieds, der Trauer und des Trostes als letze plakatierte Schicht zu guter Letzt die gute alte Litfaßsäule, bevor sie für immer das zeitliche segnet und schenkt den vorbeieilenden Großstadtmenschen Momente des Innehaltens und der Besinnung auf das Wesentliche - Das, Leben, den Tod und die Liebe.
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